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Kompetenznetz KOKON

Juckreiz

# Einleitung

Pruritus ist ein fachübergreifendes Leitsymptom zahlreicher Erkrankungen . Das Symptom gehört zu den häufigsten Beschwerden, die von der Haut ausgehen und die mit dem Bedürfnis einer mechanischen Hautantwort einhergehen ("Leitlinie Palliativpflege: Juckreiz (Version 1.3),"). Der Name Juckreiz ist zwar im klinischen Alltag gebräuchlich, aber unpräzise. Die Empfindung „Jucken“ wird durch Juckreiz ausgelöst, analog dem Schmerz und Schmerzreiz.

Pruritus bewirkt Kratzen, Scheuern, Rubbeln, Reiben, Drücken oder Kneten der Haut. Starkes Kratzen verursacht Schmerz, reduziert kurzfristig die Juckwahrnehmung und fördert damit langfristig weiteres Kratzen. Durch prolongiertes oder starkes Kratzen wird die Haut geschädigt, mit der Folge einer Aufrechterhaltung oder Verstärkung von Entzündungsvorgängen, die wiederum Pruritus fördern (Juck-Kratz-Zirkel). Dies kann sogar zu Schlafstörungen mit nachfolgender Erschöpfung und Konzentrationseinschränkungen führen [3].

Mögliche Ursachen

  • Onkologische Therapie: Immuntherapie, Chemotherapie, Tyrosinkinaseinhibitoren

  • Krankheitsbedingt: z.B. Cholestase, Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, psychisch/ psychosomatisch

  • Medikamentöse Ursachen: Opioid-Therapie, Allopurinol, etc.

  • Patient: Hautpflege, Ernährung, Trinkverhalten

# Wissen aus klinischen Studien

Stellungnahmen in der Wissensdatenbank (2023):

Die Wissensdatenbank hat keine weiteren Leitlinien, Übersichtsarbeiten oder Studien zu diesem Thema ausgewertet.

# Aussagen in deutschsprachigen Leitlinien

S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus (2021)

Die S2k-LL schreibt: „Pruritus ist ein fachübergreifendes Leitsymptom zahlreicher Erkrankungen und stellt eine interdisziplinäre, diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Im Gegensatz zu akutem Pruritus ist der chronische Pruritus (>6 Wochen bestehend) ein zumeist schwer be-handelbares Symptom verschiedener Erkrankungen.“ Durch prolongiertes oder starkes Kratzen wird die Haut geschädigt, mit der Folge einer Aufrechterhaltung oder Verstärkung von Entzündungsvorgängen, die wiederum Pruritus fördern (Circulus vitiosus). Er kann sowohl als Symptom einer Erkrankung lange vorausgehen, als auch nach erfolgreicher Behandlung der Ursache persistieren und einen eigenständigen Krankheitswert bilden. „Es wird empfohlen, die Versorgung von Patienten mit chronischem Pruritus interdisziplinär, insbesondere hinsichtlich Diagnostik und Therapie der Grunderkrankung und des Therapie- und Nebenwirkungs-Management durchzuführen.“

Diagnostik

Die S2k-LL teilt den chronischen Pruritus in die drei Gruppen:

  1. Pruritus auf primär veränderter Haut (bei Vorliegen von Hauterkrankungen)

  2. Pruritus auf primär unveränderter Haut 

  3. Pruritus mit Vorherrschen von sekundären Kratzläsionen, die nicht in die beiden anderen Gruppen fallen.

Daraus können differentialdiagnostische Hinweise bezüglich der Ursache, z.B. dermatologische Erkrankungen, medikamentös-induziert, neurologische Erkrankungen, System- oder Stoffwechselerkrankung u.a. ergeben. „Bei allen Formen von CP bedarf es einer gezielten Versorgung der Patienten bestehend aus den Säulen:

            (a) Diagnostik und Therapie der Grunderkrankung
            (b) einer dermatologischen Therapie (Basistherapie und spezifisch dermatologische Therapie)
            (c) einer symptomatisch-antipruritischen Therapie
            (d) bei einer begleitenden oder zugrundeliegen-den psychischen oder psychosomatischen Erkrankung einer entsprechenden psychologisch- psychotherapeutischen Behandlung.“

„Zur regelmäßigen Erfassung des Symptoms wird eine visuelle Analogskala (VAS), numerische Ratingskala (NRS) oder verbale Ratingskala (VRS) empfohlen."

Allgemeinmaßnahmen

  • Da sich die Betreuung eines Patienten mit chronischem Pruritus über einen längeren Zeitraum erstreckt (mit u.a. möglicherweise langer Unklarheit bezüglich Ätiologie, Einsatz von off-label-Substanzen, Frustration bezüglich Therapieversagen, psychische Belastungen), mit dem Patienten den Umfang der durchzuführenden Diagnostik und die Therapie abzustimmen, um eine größtmögliche Compliance zu erzielen

  • Als erster Schritt „sollte der Patient über allgemeine, Pruritus lindernde Maßnahmen informiert werden“.

  • Diese sind z.B. Vermeidung von häufigem Händewaschen, negativem Stress, Verwendung von z.B. milden, nicht-alkalischen Seifen, rückfettenden Dusch- und Badeölen, rückfettende topische Basistherapien.

  • Es gehören dazu aber auch „Entspannungstechniken z.B: autogenes Training, Progressive Muskelent-spannung; Kognitive Techniken z.B. Entkatastrophisieren, Ablenkungs- und Fokussierungsstrategien, Vermeidung sozialen Rückzugs u.a.

  • Des weiteren standardisierte Schulungsprogramme die neben o.g. Techniken außerdem Psychoedukation und Methoden erklären, den Juck-Kratz-Zirkel und das unbewusste nächtliche Kratzen zu durchbrechen wie z.B. durch Auflegen eines kalten Waschlappens, leichte Druckausübung, nächtliches Anziehen von Handschuhen“

  • Die Ermahnung, nicht zu kratzen, ist nicht zielführend

Ursächlich angepasste Therapie

  • Spezifischen Behandlung einer zugrunde liegenden Dermatose, Meidung eines Kontaktallergens, Absetzen eines Medikaments, spezifischer internistischer, neurologischer und psychiatrischer Therapie bis zur operativen Therapie eines zugrunde liegenden Tumors.

  • Häufig sistiert der Pruritus schnell bei Therapie und Besserung der Grunderkrankung, z.B. während / nach Durchführung einer Chemotherapie bei M. Hodgkin. Ggf. aber „dauert es bis zum Ansprechen je nach Therapie zwischen einer und 12 Wochen

  • Bei Sistieren des Pruritus sollte die Therapie nicht zu schnell abgesetzt werden (stufenweises Ausschleichen über mindestens 4 Wochen), so dass der Patient über eine lange Therapiedauer informiert werden muss

 
Topische Therapien

  • Empfehlung einer Lokaltherapie alleine oder in Kombination mit Systemtherapien und/oder UV-Phototherapien empfohlen. Sie bietet wichtige Interventionsmöglichkeiten für die Behandlung von verschiedenen Pruritusformen

  • Die Harnstoff-, Glyzerin- und Natriumchlorid-haltigen Externa sind als rückfettende und hydratisierende Externa und damit auch als Antipruriginosa empfehlenswert

  • Grundsätzlich ist auf eine reichhaltige hydratisierende Rückfettung bei Altershaut oder atopischer Haut zu achten. Je trockener die Haut, desto fettreicher ist die Grundlage zu wählen.

  • Lipophile Grundlagen sind bei trockener intakter Haut, wasserreiche Externa mit z.B. hydrophilen Cremegrundlagen bei entzündeter Haut anzuwenden.

  • Daneben gibt die S2K-LL folgende Empfehlungen: Menthol, Kampfer, Lidocain und Polidocanol können bei chronischem Pruritus erwogen werden.

  • Topische Glukokortikosteroide werden zur kurzfristigen Therapie des chronischen Pruritus bei einer steroidresponsiven Dermatose und bei sekundären entzündlichen Kratzläsionen empfohlen.

  • Die Therapie des lokalisierten chronischen Pruritus mit Capsaicin kann erwogen werden.

  • Topische Calcineurininhibitoren werden ab dem Alter von 2 Jahren als Zweitlinien-Therapie zur Thera-pie des chronischen Pruritus bei atopischem Ekzem empfohlen und können (als off-label-Therapie) bei anderen entzündlichen Dermatosen und bei sekundären entzündlichen Kratzläsionen erwogen werden.

  • Topische Cannabinoidrezeptor-Agonisten können bei chronischem Pruritus erwogen werden

Systemtherapien

Die S2k-LL hat in tabellarischer Form verschiedene Stufentherapie-Schemata u.a. zum nephrogenen, choelstatischen, aquagenen, paraneoplastischen, neuropathischem oder idiopathischem Pruritus gelistet. Diese Schemata enthalten zum Teil auch Phytopharmaka, die in den Empfehlungen zur Systemtherapie nicht enthalten sind, so dass je nach Pruritus-Typ hier gesondert nachgeschlagen werden sollte. Sie gibt folgende Empfehlungen:

  • Nicht-sedierende Antihistaminika werden empfohlen beim chronischen Pruritus der Urtikaria“. Ihr Einsatz „kann empfohlen werden bei anderen Formen von chronischem Pruritus. Bei nicht ausreichendem Ansprechen auf Standarddosierung kann deren Höherdosierung (bis zur 4fachen Standarddosis) als off-label-use erwogen werden

  • Der Einsatz von sedierenden Antihistaminika wird nicht empfohlen.

  • Die Anwendung systemischer Glukokortikosteroide kann als Kurzzeittherapie bei schwerstem chronischen Pruritus und starkem Leidensdruck in Ausnahmefällen erwogen werden

  • Eine UV-Phototherapie kann bei chronischem Pruritus bei entzündlichen Dermatosen und chronischen Kratzläsionen empfohlen und bei chronischem Pruritus bei ausgewählten inneren Erkrankungen erwogen werden. „

  • Eine Therapie des chronischen Pruritus mit Leukotrienrezeptor-Antagonisten wird nicht empfohlen

  • Naltrexon kann bei hepatischem Pruritus und bei Pruritus bei atopischem Ekzem als orale off-label-Therapie empfohlen werden.

  • Naltrexon kann bei aquagenem und vulvovaginalem Pruritus, Pruritus bei Karzinom, systemischer Sklerodermie und bei Chloroquin-induziertem Pruritus als orale off-label- Therapie erwogen werden.

  • Naloxon i.v. kann bei hepatischem Pruritus, Pruritus bei Malignom und bei schwerstem Pruritus mit starkem Leidensdruck erwogen werden

  • Gabapentin und Pregabalin werden bei nephrogenem und neuropathischem Pruritus als off-label-use empfohlen und können bei chronischem Pruritus anderer Genese empfohlen werden

  • Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) können bei chronischem Pruritus im off-label-use empfohlen werden

  • Mirtazapin (15-30 mg/d) kann, z.B. in Form einer abendlichen Einnahme, zur Therapie des chronischen Pruritus im off-label-use erwogen werden

  • Doxepin oral kann zur Therapie des chronischen Pruritus (off-label-use) erwogen werden

  • Aprepitant kann in Fällen von therapierefraktärem chronischen Pruritus erwogen werden

S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen Patienten (2020)

Systemtherapien

  • Bei Xerosis cutis / Pruritus zur Prophylaxe Basismaßnahmen (Vermeidung mechanischer und chemischer Noxen, UV-Schutz, pH-neutrale Öle, 5-10%ige harnstoffhaltige Cremes mind. 2x täglich)

  • Zur Therapie werden zusätzlich zu den Basismaßnahmen ab Grad I (CTCAE 4.03) ggf. orale Antihistaminika, ab Grad II orale Antihistaminika und ggf. topisches Steroid Klasse 2, ab Grad III Antihistaminika+topisches Steroid Klasse 2 sowie eine „kann“-Empfehlung bei therapierefraktärem Pruritus unter EGFR-Therapie mit zusätzlich Aprepitant empfohlen.